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24.01.10

Foto des Tages


zum kalten Wochenende ein Foto mit Eisformationen

22.01.10

Wohnen im Berliner Wedding


Ich wohne erst seit einem knappen Jahr in Berlin Wedding. Seitdem muss ich mir immer wieder Fragen gefallen lassen wie: „Und, hast Du Dich schon nach einer neuen Wohnung umgesehen?“ (Nein, bin gerade erst eingezogen.) „Und wie lange willst Du hier bleiben?“ (habe noch keinen Plan gemacht, sofort wieder meine Koffer zu packen). Der Stadtbezirk Wedding wird von seinen Bewohnern so runter gemacht, es ist unglaublich. Es fällt schwer, ihn zu verteidigen, dabei gibt’s hier wirklich schöne Ecken. Schon der ganze Pankeweg – ideal zum Radfahren ausgebaut – gibt mir das Gefühl, dem Lärm und der Hektik der Stadt jederzeit entfliehen zu können.
Die Stadt verwendet offensichtlich viel Zeit und Geld für diesen Problemstadtteil, denn an gepflegten Parkanlagen mangelt es hier nicht. Beratungsstellen zu allen Lebenslagen wo man geht und steht, „Menschen helfen Menschen“ Anlaufpunkte, Spielplätze, Galerien, die förmlich aus dem Nichts auftauchen, Weinläden, die am Abend zu Lesungen einladen.
Ich fühle mich wohl hier und hoffe, dass bald auch anderen auffällt, wie sehr der Wedding im Wandel begriffen ist. Hier sieht man nicht nur Multikulti, sondern auch Studenten und Künstler, die froh sind, eine brauchbare Bleibe für eine erschwingliche Summe zu bekommen.
Hoffentlich fallen mir ein paar dieser Gründe wieder ein, wenn ich das nächte mal gefragt werde, wie ich denn nur DA leben kann!

Foto des Tages


Der Panke Fluss mit verschneiter Umgebung.
Schnee und Eis haben uns nochmal gepackt - am vergangenen Wochenende. Wenn alles noch schön weiß ist, zeigt sich die Welt von ihrer reinen Seite. Kurze Zeit später: gelbe Streifen von den spazierengeführten Hunden und der übliche weggeworfene Müll.

15.01.10

Ein Roman, der den Leser nicht mehr losläßt

Pascal Mercier Nachtzug nach Lissabon

Wer kennt sie nicht, die himmlischen Ferientage, an denen nur das neue Buch zählt, nichts stören kann und man nur ungern der menschlichen Umgebung Auskunft darüber gibt, worin man denn so versunken sei. Das passierte mir in den Weihnachtsferien mit Merciers kürzlich im Taschenbuch veröffentlichtem Roman Nachtzug nach Lissabon.

Eines frühen Morgens sieht Raimund Gregorius eine Frau auf der Brücke auf dem Weg zur Arbeit. Ihre Begegnung bringt bei Gregorius Gedankenwelten in Bewegung, die er lange verschüttet glaubte. Er kehrt der Schule, in der er seit 30 Jahren unterrichtet, den Rücken und bricht auf in ein Abenteuer.

Ungelebte Lebensträume
Wir alle kennen solche Momente in denen wir uns wünschen, aus unserem Leben, so wie es momentan ist, herauszuschlüpfen wie aus einer zweiten Haut. Vielleicht gerade in der Urlaubszeit, wo wir andere Kulturen und Lebensgewohnheiten kennenlernen und uns fragen, was wohl aus uns geworden wäre wenn ... ja wenn wir nach der Ausbildung den Job in einen fernen Land angenommen hätten, wenn wir damals die Beziehung mit dem Jugendschwarm weitergeführt hätten, Arzt in Afrika oder Zimmermann in Australien geworden wären.

Gregorius will gleich alles auf einmal: eine neue Sprache lernen (portugiesisch), die lebt! Im Gegensatz zu den sogenannten toten Sprachen Latein, Griechisch und Alt Hebräisch. Zum ersten Mal reist er nach Portugal, erkundet die Stadt, lernt die Sprache mit Hilfe von Wörterbuch, Grammatik und einem Buch, das ihn fasziniert.

Suche nach dem unbekannten Toten
Der Autor ist seit langem tot, doch Gregorius begibt sich auf die Suche nach den Menschen, die ihn kannten, nach Überlebenden seiner Familie, nach dem Haus, in dem er lebte, der Schule, die er besuchte. Auf diesem teilweise beschwerlichen Weg trifft der Protagonist auf freundliche Menschen, die ihm bereitwillig helfen. Das ist vielleicht das einzig Negative, das ich anmerken möchte: es läuft ein bisschen zu perfekt, wirkt dadurch unrealistisch. Trotzdem hat mich der Autor bei der Stange halten können. Was der Leser während der Lektüre über das Land, die Leute, Geschichte und Sprache kennenlernt, ist sehr interessant.

Das offene Ende – oder je nachdem, wie man es sieht auch depressive Ende – lässt Raum für Spekulationen, die unweigerlich zum eigenen Leben, dessen Hauptweg und alternativen Strassen, führen. Ein wirklich lesenswertes Buch, dass die Gemüter allerdings hochschlagen lässt. Entweder man liebt Nachtzug nach Lissabon oder hasst es, weil es zu schmalzig daherkommt. Ich war aber von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt und bin gern bereit, mich noch auf andere Bücher des Autors mit Pseudonym einzulassen.

A Touch of Greatness

Eine Dokumentation zu Albert Cullum
A Touch of Greatness (2005) ist der Titel einer Dokumentation über den Lehrer Albert Cullum, der in den 60er Jahren in Rye, New York, mit neuen Lehrmethoden und Inhalten für Furore sorgte.

Der Film fängt mit einem Ausschnitt aus dem (schwarz-weiß) Originalfilm an, den Cullum selbst hat machen lassen: Kinder, ca. 10 Jahre alt, befinden sich auf dem Schulhof, auf dem mit Kreide die Bundesländer der Vereinigten Staaten aufgemalt sind. Jeder Bundesstaat hat seine eigene Form, die jeweiligen Namen sind allerdings nicht eingetragen. Die ganze Schulklasse legt Papier von einer riesigen Papierrolle auf die Landkarte. Das soll der Fluss Mississippi sein; sie sind voll bei der Sache, krabbeln schließlich auf dem Papierteppich, machen Schwimmbewegungen, ERLEBEN den Fluss. Das ist nur eines der vielen Beispiele, die die Dokumentation von den Lehrmethoden Cullums präsentiert.

Cullum durch die Augen seiner ehemaligen Schüler
A Touch of Greatness bietet Interviews mit Cullum (1920-2003) selbst und ehemaligen Schülern. Regisseurin Leslie Sullivan organisierte ein Klassentreffen der mittlweile 40 bis 50 jährigen mit ihrem ehemaligen Lehrer. Liebe, Achtung und Bewunderung für Cullum leuchtet in ihren Augen, er hat jeden Einzelnen von ihnen erreicht. Zwischen 1956 und 1960 arbeitete er als Lehrer der 5. Klasse. Das bedeutet, er unterrichtete die Schüler in jedem Fach, verbrachte den ganzen Tag mit ihnen. Cullum gelang es mit unkonventionellen Methoden diesen Kindern Spaß am Lernen beizubringen. Zum Beispiel gründete er einen Theaterklub und ließ die Kids Shakespeare aufführen. Die Schauspielerei machte aus jedem einen Star, gab ihnen Selbsvertrauen. Er nahm ihnen die Angst vor den Klassikern als etwas unnahbarem, schwer verständlichem. Cullum glaubte, dass in jedem Kind ein „Stück Bedeutung“ stecke, die geweckt werden könne durch die Erfahrung mit klassischer Literatur, Musik und Kunst. Durch das frühe Heranführen an die Klassiker werden Shakespeare, Sophokles & Co. Freunde und Teil ihres Lebens.

Geschrei im Klassenzimmer?? Das muss Cullums Klasse sein!
Der Film ist voller Bewegung. Es war oft laut in Cullums Klassenzimmer, die Kinder engagiert in ihren Projekten, rannten durch den Raum, malten gemeinsam Häuser auf einer Papierrolle auf dem Boden – der Mann hatte wirklich viele gute Ideen. Ich bin auf ihn gestossen, als ich für meinen eigenen Unterricht forschte, um herauszufinden, wie ich Literatur und Kunst in den (Fremdsprachen-) Unterricht integrieren kann. Das Lehrbuch bietet Gedichte von Rose Ausländer, Goethe und Brecht, aber diese nur zu besprechen ist so trocken wie Grammatik. Auf einer CD werden die Gedichte, Balladen und mehr von Muttersprachlern vorgelesen. Ich lese sie auch nocheinmal vor, dann abwechselnd die Studenten, damit sie ein Gefühl für die Sprache, für Reim, für die Strophen bekommen.
Wie können sie das Gedicht aber ERLEBEN? Indem sie selbst eins schreiben, mit neuen Wörtern experimentieren, ihre Erfahrungen verarbeiten können.

Bildverweise und weiterführende Info:
http://www.pbs.org/independentlens/touchofgreatness/
http://www.atouchofgreatness.com/
Foto der DVD von:
http://www.amazon.com/Touch-Greatness-Leslie-Sullivan/dp/product-description/B0006Z2NL8

14.01.10

Drogen und Kinderspielplatz

Der Vietnamese vom Kinderspielplatz

Die Bezeichnung Vietnamese statt eines Namens, als wäre das ausreichend für eine Beschreibung. Doch ich kenne seinen Namen nicht, nur das müde Gesicht und die schmalen Schultern in viel zu großen und immer grellfarbigen T-Shirts. Er läuft gemächlich zwischen dem Cafébäcker in der Soldiner und dem Spielplatz zwischen Soldiner und Drontheimer Strasse hin und her. Nur seine Augen huschen geschäftig von links nach rechts und zurück.

Sein Schlendern wird von einer Frau mittleren Alters angenommen. Sie laufen nebeneinander her, bleiben kurz stehen. Ware und Geldscheine tauschen ihre Besitzer. Er konzentriert sich auf sein Geschäft und versäumt doch nie, die Gegend im Auge zu behalten, nicht zuletzt auch mich, die ungewollte Beobachterin, die aber potentiell auch eine Kundin sein könnte.
Die Frau mit ihren strohigen, gefärbten Haaren, sieht fertig aus, vielleicht von einer durchwachten Nacht. Die Einkaufbeutel in beiden Händen ziehen ihren Oberkörper nach unten. Sie stehen nun unbeachtet im Sand des Gehwegs. Vielleicht hat sie sich Auputschmittel verschafft, um auf Arbeit durchzuhalten, oder Schlaftabletten, um trotz des Tageslichts Ruhe finden zu können.

Der Autor, mit dem ich mich gerade beschäftige ....

beantwortet in diesem Video zehn Fragen über sich, sein Schreiben und seine Arbeit als DJ. Man bekommt einen guten Eindruck von ihm:

Eine Satire auf Ost- und Westdeutsche


Jens Sparschuh Der Zimmerspringbrunnen (1995)

Man wird hineingeworfen in die Handlung dieses Buches aus dem Jahr 1995 und denkt nach wenigen Seiten schon, dass man sich in Band 2 eines Romans über die Alltagsseiten des Lebens im Ostteil Deutschlands in der Mitte der Neunziger Jahre befindet. So einprägsam thematisiert Sparschuh den Ost-West-Konflikt anhand seines Protagonisten Hinrich Lobek.
Die Euphorie der Wiedervereinigung ist längst vorbei und statt den von Helmut Kohl versprochenen blühenden Gärten gibt es in Deutschland zur Zeit der Romanhandlung ca. 4 Millionen Arbeitslose. Auch Hinrich Lobek ist nach der Wende arbeitslos geworden. Seine ungenutzten Fähigkeiten dehnt Lobek auf die Pflege der Zimmerpflanzen, Laubsägearbeiten und die Überwachung seiner Frau Julia aus. Im Stil der Stasiinformanten hält Lobek jede Regung seiner Frau im „Protokollbuch“ fest: „Observationsobjekt J. verläßt gegen 7.15 Uhr die eheliche Wohnung (Lila Lippenstift ...!)“ (Z 8). Lobek ist zu Beginn der Handlung seit drei Jahren arbeitslos und ein Neubeginn ist nicht in Aussicht.

Neue Hoffnung auf eine Beschäftigung
Schliesslich bewirbt Lobek sich auf eine Anzeige in der Zeitung bei der Firma PANTA RHEIn. Das Verfassen des Lebenslaufes bereitet ihm Schwierigkeiten, schliesslich kann er die einschlägigen Formulierungen aus der DDR-Zeit nicht mehr verwenden: „Vollständig gestrichen hatte ich zunächst den Passus beginnend mit ‚Bin seit meiner Schulzeit überzeugter Vetreter der sozialistischen Ordnung’ “ (Z 19). Lobek wird tatsächlich eingeladen. Man spürt förmlich die Euphorie des Protagonisten wenn er endlich nach den ungezählten erfolglosen Versuchen die Antwort einer Firma bekommt, die die Möglichkeit einer neuen Beschäftigung zumindest ansatzweise signalisiert. Das gibt Lobek einen inneren Aufschwung, die Hoffnung lässt ihn optimistisch werden, auch seine Frau ist überrascht. Zur Schulung nach Bad Sülz fährt er immer noch beladen mit dem Minderwertigkeitskomplex des früheren Ostlers, zweifelnd, ob er wohl den Anforderungen der neuen Chefs gerecht werden könne.

Kreativer Umbau der Zimmerspringbrunnen
Lobek wird den Erwartungen seines neuen Arbeitgebers insofern gerecht, als es ihm tatsächlich gelingt, den Markt für Zimmerspringbrunnen im Osten zu erweitern. In seinem Hobbyraum baut er die Standardmodelle so um, dass sie für die ehemals Ostdeutschen ein Symbol der heilen Vergangenheit darstellen.

Wie er das genau macht, möchte ich an dieser Stelle nicht verraten!

Das Foto des Autors habe ich aus folgendem Artikel kopiert:
http://www.tagesspiegel.de/kultur/literatur/Hoerbuecher%3Bart138,2343971

13.01.10

Das Scheitern des wahrhaftigen Journalismus in Maron's Roman Flugasche

Die Frage Christa Wolfs, was denn bleibe von der DDR, von der DDR Literatur, wurde in den vergangenen zwanzig Jahren immer wieder neu beantwortet und kontrovers diskutiert.

Was bleibt (Christa Wolf, 1979, 1990) beschreibt einen Tag im Leben einer Schriftstellerin, die Tag und Nacht von der Stasi beschattet wird. Die ständige Überwachung, die Gewißheit der Präsenz der Herren im Auto vor dem Haus machen sie arbeitsunfähig.

Aufgrund des Publikationsjahres - 1990 - wurde die Frage 'Was bleibt?' im größeren Kontext des Zerfalls der DDR und der zukünftigen Wiedervereinigung verstanden. Einerseits 'Was bleibt? - nach dem Fall der DDR, der Zerschlagung der sozialistischen Utopie und andererseits: was bleibt von der DDR, hier im speziellen von der DDR Literatur?

Wenn ich zu einem Buch greife, das zwischen 1949 und 1989 veröffentlicht wurde, dann läuft es in meinem Kopf mittlerweile durch eine Art Raster. Welche Anforderungen sollte ein Werk erfüllen, um zu den Auserwählen zu gehören, die ‚bleiben’?

So erging es mir auch mit Monika Marons Debütroman Flugasche von 1981, in dem sie die Umweltverschmutzung in der DDR thematisiert. Er ist die erste weithin bekannt gewordene literarische Veröffentlichung zu diesem Thema. Darin geht es um die Journalistin Josefa Nadler, die von ihrer Redaktion nach Bitterfeld geschickt wird, um über die Arbeit im dortigen Kraftwerk eine Reportage zu verfassen.

Der Schreibprozeß ist für Josefa eine Auseinandersetzung mit der Schere im Kopf, die ihr durch die herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen aufgezwungen werden. Sie kann die Wahrheit schreiben, nämlich, dass B. die schmutzigste Stadt Europas ist. Doch das wird nicht gedruckt werden. Ihre Verzweiflung kommt in folgendem Gespräch mit ihrer Redakteurin zum Ausdruck: „Ich werde um mich selbst betrogen. […] Sie betrügen mich um mich, um meine Eigenschaften. Alles, was ich bin, darf ich nicht sein. Vor jedes meiner Attribute setzen sie ein >zu<: du bist zu spontan, zu naiv, zu ehrlich, zu schnell im Urteil … (Maron, Flugasche, 1981, 78).

Flugasche können wir heute als Darstellung der Zwänge, denen kreativ Arbeitende in der DDR ausgesetzt waren, lesen. Und was das letztendlich aus den Menschen machen kann, Mitläufer oder verzweifelte, ewig Suchende. Menschen, die an die Ideale der verordneten Parteilinie glauben und welche, die aufgegeben haben (und natürlich viele Zwischenstadien davon). Maron beschreibt beispielsweise einen Kollegen Josefa Nadlers, der die Manuskripte in der Redaktion nur unter einem bestimmten Alkoholpegel bearbeiten kann.

Letztendlich geht es also nicht darum, die objektive Wahrheit zu schreiben, sondern darum, die Schere im Kopf so arbeiten zun lassen, dass der Text in der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik veröffentlicht werden kann.

Bild der Autorin von
http://lesesaal.faz.net/wehler/article.php?txtid=maron
F.A.Z. vom 29.08.2008